Bayerisches Hochschulinnovationsgesetz (BayHIG)
28.06.2021Stellungnahme der Kath.-Theol. Fakultät
Stellungnahme der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zum Gesetzesentwurf zur geplanten Novellierung des bayerischen Hochschulgesetzes
1. Rechtskriterien
In der Bundesrepublik Deutschland ist der Zusammenhang von Bildung und freier Heranbildung urteilskräftiger Bürgerinnen und Bürger nicht nur anerkennend berücksichtigt. Vielmehr wird er auf höchstem normativen Niveau hervorgehoben. Den normativen Rahmen für dieses freie, gleiche und unideologische Bildungsangebot an Studierende an deutschen Hochschulen geben das Grundgesetz (GG[1]), das Hochschulrahmengesetz (HRG[2]) sowie Bestimmungen im Sinn der Kulturhoheit der Länder vor.
Diese normativen Grundvorgaben schließen nicht aus, sondern gerade ein, dass eine sachgemäße Reaktion auf die heute evolvierende Wissens- und Informationsgesellschaft auch eine angemessene hochschulpolitische Reaktion im Blick auf neue Aufgaben der Universität erfordert. Wenn gesellschaftliche und wirtschaftliche Produktivität inzwischen zentral wissens- und informationsbasiert ist, sind gerade die Universitäten aufgefordert, ihr Selbstverständnis interdisziplinär neu zu diskutieren.
Der von der bayerischen Landesregierung vorgelegte und zur Diskussion gestellte Entwurf des bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes macht dazu Vorschläge. Hauptstichworte im Vorfeld und zur Pointierung der Diskussion („Eckpunkte-Papier“) über diesen Entwurf waren dabei „Agilität“, „Ökonomisierung“ und „Transfer in die Wirtschaft“, im Kontext der „High-Tech-Agenda“ der bayerischen Landesregierung. Wir nehmen zur Kenntnis, dass der vorgelegte Gesetzesentwurf im Vergleich zum vorangehenden „Eckpunkte-Papier“ nach den erfolgten Anhörungsprozessen inhaltlich korrigiert und erweitert worden ist. Zugleich aber sehen wir weiteren Diskussionsbedarf, hauptsächlich über die konkrete Auslegung der Sinnspitze des bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes. Dies gilt über den Abschluss des Anhörungsprozesses für den Gesetzesentwurf hinaus. Denn in diesem Entwurf wird – als Angebot – ein Systembruch im Verständnis der Aufgabe und der Stärke einer nicht nur ökonomisch „agilen“ Universität vorgeschlagen, dem wir in dieser Form und ohne weiteren gründlichen Dialog nicht zustimmen können.
2. Erläuterungen
Große und international sichtbare Universitäten in Deutschland sind schon jetzt komplex beweglich und leistungsstark. Sie konkurrieren international kompetent. Die Kollegien an deutschen Fakultäten sind – ausbaubar – unter Diversitätsgesichtspunkten und international besetzt.
Aber große und international sichtbare Universitäten in Deutschland sind keine Wirtschaftsunternehmen. Und das aus klugen Gründen. Das haben die globale Finanzkrise und der Kapitalwegbruch der amerikanischen und englischen Universitäten gezeigt.
Ihrem frühen, aber durchaus unveralteten traditionell europäischen Selbstverständnis nach sind Universitäten in Deutschland im Kern eine universitas litterarum. D.h. sie organisieren und integrieren gezielt unterschiedlichste kognitiv und gesellschaftlich wichtige Diskurse, die, wenn gerade junge Studierende einen Überblick über sie gewinnen, Urteilskraft und Wissen entscheidend und breit stiften und fördern. Wirtschaftsunternehmen dagegen liefern schlicht bestellte oder angebotene Waren und Dienstleistungen.
Die an Universitäten aufgrund freier Studien erworbene und in universitären Prüfungen nachgewiesene wissenschaftliche Kompetenz wird in akademischen Zeugnissen dokumentiert. Dagegen werden auf Weisung oder nach situativ kalkuliertem Bedarf produzierte Waren und Dienstleistungen hauptsächlich auf volatilen Märkten bewertet und in der Regel nach einer aktualistischen Logik von Angebot und Nachfrage entweder mit Geld eingekauft oder ignoriert.
Diese klare Grunddifferenz entspricht nicht nur in mehrfacher Hinsicht: nämlich historisch, systematisch und normativ, den voneinander distanten, jeweils grundständig völlig anderen Leitideen, die die Universität und Wirtschaftsunternehmen seit mehreren Jahrhunderten prägen und - aber eben kooperativ (und also nicht durch Verwechselungen oder gar Kategorienfehler) - auch erfolgreich machen.
„Geist“, den man an der Universität bilden und schärfen kann, ist naturgemäß keine Ware. Er ist ein kognitives Vermögen von unüberschaubarer gesellschaftlicher Wichtigkeit. Mit der Universität hat seine Ausbildung originär deshalb zu tun, weil er dort die günstigsten Voraussetzungen zu finden scheint, als ein frei entstehendes Ergebnis interdisziplinärer Bildungsprozesse und Dialoge auf hohem Niveau sich entfalten zu dürfen. Unter optimalen, wünschenswerten Verhältnissen strahlt er nicht zuletzt in die Wirtschaft aus, und zwar ökonomisch fruchtbar und kritisch produktiv.
Aber das Wichtigste, was eine Universität ohne Grundverfassung als Wirtschaftsunternehmen aus unserer Sicht erreichen kann, ist die kommunikative und freie Heranbildung von möglichst breit gebildeten urteilskräftigen und kreativen Bürgerinnen und Bürgern. Das sind aus unserer Sicht die Kernziele und die Sinnspitze des staatlichen Bildungsauftrags im Blick auf die Universität.
Wir wirken an der Umsetzung dieser Ziele mit und tun dies traditionell und bewusst ohne primär ökonomischen Hintergrund. Vielmehr zielt unser Beitrag auf eine Stärkung der werte- und bildungsmäßigen Ressourcen, die eine zunehmend plural zusammengesetzte Gesellschaft braucht, um ihren sozialen Zusammenhalt und ihre demokratische Integrationsfähigkeit jetzt und in Zukunft zu sichern. Wir glauben, dass diese Ziele ähnlich wichtig sind wie eine „High-Tech-Agenda“ - und komplementär unerlässlich für eine gelingende Digitalisierung der Gesellschaft, die allen nützt.
3. Votum
Wir schließen uns in inhaltlichen Kernpunkten damit der Stellungnahme der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg an.
Link:
[1] Die Hochschulen führen auf grundgesetzlich definierter Basis den staatlichen Bildungsauftrag (GG Art. 7,1) fort und tragen damit, vor allem durch interdisziplinäre Studienangebote, wesentlich zur nachhaltigen Förderung der Ausbildung bürgerlicher demokratischer Urteilskraft bei.
[2]„§ 2 Aufgaben (1) Die Hochschulen dienen entsprechend ihrer Aufgabenstellung der Pflege und der Entwicklung der Wissenschaften und der Künste durch Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung in einem freiheitlichen, demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und wissenschaftlicher Methoden oder die Fähigkeit zu künstlerischer Gestaltung erfordern. (2) Die Hochschulen fördern entsprechend ihrer Aufgabenstellung den wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchs.“