"Kirche ist größte Lebens-Mittel-Kette der Welt"
05.06.2012Michael Rosenberger referierte über Essen und Trinken aus moraltheologischer Sicht – Vortrag im Rahmen der Reihe "Theologie treiben mit Würzburger Wurzeln"
Für einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln und eine glaubwürdige Theologie von Essen und Trinken sprach sich Professor Michael Rosenberger bei einem Vortrag an der Universität Würzburg aus. Ernährung sei weit mehr als bloße Nahrungsaufnahme, so der aus Würzburg stammende und an der Universität Linz lehrende Moraltheologe in seiner Gastvorlesung „Die königliche Speise Brot“ an der Katholisch-Theologischen Fakultät.
Rosenberger skizzierte zunächst verschiedene Aspekte der Ernährung als menschlichem Grundvollzug. Essen und Trinken sei nicht nur lebensnotwendiges Bedürfnis des Menschen, sondern habe immer auch mit Kultur und Gemeinschaft zu tun. Vorgänge des Essens und Trinkens, aber auch Bezeichnungen von Gerichten oder geschlechterspezifische Essgewohnheiten stellten symbolische Codes dar, die soziale Kategorien wie Macht und Prestige, Status und Identität oder Sicherheit und Wohlergehen widerspiegelten, so der aus Würzburg stammende Theologe. So seien beispielsweise Sitzordnungen meist hierarchisch ausgerichtet und orientierten sich am Ansehen der Gäste; regionale Speisen wie fränkische Bratwurst vermittelten Identität und alltägliche Essengewohnheiten wie der "Kaffee am Morgen" gäben Sicherheit und Struktur.
Essen und Trinken Vorgeschmack künftigen Heils
Im zweiten Teil seines Vortrags beschäftigte sich Rosenberger mit den religiösen und spirituellen Dimensionen von Essen und Trinken. Ernährung lasse den Menschen seine Abhängigkeit erfahren und zeige ihm, dass er als Geschöpf auf etwas Fremdes angewiesen ist. Deshalb seien Demut, Dankbarkeit und Ehrfurcht spirituelle Grundhaltungen, die den Umgang mit Lebensmitteln und die menschliche Praxis des Essens und Trinkens prägten. Dies gelte für Einkauf, Zubereitung und Verteilung von Lebensmitteln ebenso wie für Fragen der Tisch- und Mahlkultur, des Fastens oder des bewussten Umgangs mit Fleisch. Gerade im Christentum und in der Kirche spielten Essen und Trinken eine zentrale Rolle. So sei das Brotbrechen geradezu das Markenzeichen der Christinnen und Christen. In der Eucharistie gedenke die Kirche der Mahlpraxis Jesu, zugleich sei sie Vorgeschmack und Verheißung des künftigen Heils.
Welthunger ist Herausforderung für die Ethik
Rosenberger, der seit 2002 Moraltheologie in Linz lehrt, ging in seinem Vortrag auch auf aktuelle Fragestellungen des Themas ein. So plädierte er für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Nahrungsmitteln, der auch Fragen der Tierhaltung und des Fleischverzehrs, aber auch des Handels mit Lebensmitteln betreffe. Das weiterhin drängende Problem des Welthungers werde nicht, wie oftmals von Politik und Wirtschaft behauptet, durch Technik, sondern durch Ethik gelöst, so die feste Überzeugung des Ethikers. Denn letztlich gehe es um Fragen der Gerechtigkeit und Solidarität.
Nachdenken über kirchliche Mahlpraxis
Mit Nachdruck setzte sich Rosenberger für ein kritisches Nachdenken über die eucharistische Mahlpraxis ein. Durch eine erneuerte "Theologie von Essen und Trinken" könne die Kirche einen großen Teil ihrer verloren gegangenen Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, zeigte sich Rosenberger überzeugt. Die weltweit größte Schnellrestaurantkette habe täglich 60 Millionen Besucher. Dem gegenüber bringe es allein die katholische Kirche sonntäglich auf über 300 Millionen Mahlteilnehmer. Damit sei die Kirche "die größte Lebens-Mittel-Kette der Welt. Und dieses Potential gilt es zu nützen", so das Fazit des Moraltheologen.
Zweiter Abend der neuen Vortragsreihe
Rosenberger sprach als zweiter Referent im Rahmen der Vortragsreihe "Theologie treiben mit Würzburger Wurzeln"; zuvor war im Dezember 2011 der Bonner Neutestamentler Martin Ebner zu Gast. Die Reihe wird vom Verein der Freunde und Förderer der Würzburger Katholisch-Theologischen Fakultät in Kooperation mit der Katholischen Akademie Domschule organisiert. Ziel ist es, Absolventinnen und Absolventen der Fakultät vorzustellen, die ihre wissenschaftlich-akademischen Wurzeln in Würzburg haben und heute andernorts Theologie treiben. Dadurch solle "auch ein Stück Wirkungsgeschichte der Würzburger Theologie lebendig werden", so der Vorsitzende des Fördervereins, Professor Wolfgang Weiß, in seiner Begrüßung.
Michael Rosenberger wurde 1962 in Würzburg geboren und 1987 in Rom zum Priester geweiht. Er studierte Theologie in Rom und Würzburg und war von 1996 bis 2002 Assistent am Würzburger Lehrstuhl für Moraltheologie. 1995 erfolgte die Promotion bei Professor Bernhard Fraling, 1999 die Habilitation. Seit 2002 ist Rosenberger Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz. Schwerpunkte seiner Arbeit sind u.a. Umwelt- und Schöpfungsethik, Schöpfungsspiritualität, Neurowissenschaften und Fragen des christlichen Menschenbildes.
(Text: Claudio Ettl)