Von der Bibel bis Dan Brown - Maria Magdalena im Faktencheck
25.04.2012Fränkische Schüler auf den Spuren Maria Magdalenas – Weitere Studientage des Projektes "Exegeswerkstatt. Neutestamentliche Apokryphen" an der Universität Würzburg
Aktuelle Ergebnisse aus Bibelwissenschaft und Theologie spannend und nachhaltig an Schülerinnen und Schüler vermitteln: Darauf zielt das Projekt "Exegesewerkstatt. Neutestamentliche Apokryphen" ab, das seit 2010 vom Denkwerk-Programm der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wird. Ende März 2012 kamen erneut mehr als 100 Gymnasiasten der 10. und 11. Jahrgangsstufen zu zwei weiteren Studientagen an die Universität Würzburg. Thema diesmal: "Maria Magdalena – Fiktion und Wirklichkeit".
Angeleitet von den Mitarbeitern des Lehrstuhls für neutestamentliche Exegese der Katholisch-Theologischen Fakultät unter der Leitung von Professor Bernhard Heininger befassten sich die Schülerinnen und Schüler der Würzburger Matthias-Grünewald-, Riemenschneider- und Wirsberg-Gymnasien sowie des Ohm-Gymnasiums aus Erlangen auf kreative und spannende Weise mit unterschiedlichen Facetten der biblischen Figur Maria Magdalena.
Dan Browns "Da Vinci-Code" als Ausgangspunkt
Geheimnisvolle Frau, Geliebte und Ehefrau Jesu, Mutter der gemeinsamen Tochter Sarah, Verfasserin eines Evangeliums der Maria – durch Dan Browns Krimi "Da Vinci-Code" (deutsch: Sakrileg) wurde Maria Magdalena einem breiten Publikum aller Altersklassen bekannt, auch unter Schülerinnen und Schülern. Was lag also näher, als die Verfilmung des Bestsellers als Ausgangspunkt der Studientage zu wählen?
Die beiden Hauptfiguren des Films, Professor Robert Langdon, Harvard-Spezialist für Symboldeutung (Symbologie), und Sophie Neveu, Verschlüsselungsexpertin der Pariser Polizei, stoßen bei ihren Recherchen immer wieder auf verborgene Zeichen und Symbole in den Werken Leonardo da Vincis. Auch angeblich geheime Erkenntnisse über Maria Magdalena und ihre Liebesbeziehung zu Jesus sind dabei von Bedeutung. Durch die Filmfigur des Gralsexperten Leigh Teabing vermittelt Dan Brown solches "Exklusivwissen" literarisch geschickt und mit vermeintlicher Wissenschaftlichkeit. Eine originelle Kombination der Bildinterpretation des letzten Abendmahles von Leonardo da Vinci mit symbologischen Deutungen und Textausschnitten aus apokryphen – d.h. nicht in den kirchlich anerkannten Katalog neutestamentlicher Schriften (Kanon) aufgenommenen – Evangelien suggeriert, das Geheimnis der Identität Maria Magdalenas werde nun endlich gelüftet. So werden "revolutionäre" Erkenntnisse präsentiert, die zum einen auf den Heiligen Gral hindeuten, zum anderen die These aufstellen, dass Jesus und Maria Magdalena eine gemeinsame Tochter hatten.
Anhand einer Filmsequenz, in der Maria Magdalena eine besondere Rolle spielt, arbeiteten die Schülerinnen und Schüler in einem ersten Schritt die Aussagen des Films über diese Figur heraus. Welche zentralen Aussagen werden gemacht? Wie werden sie erhoben? Welche historischen Quellen werden dafür angeführt? Diese Fragen standen dabei im Zentrum.
Faktencheck: Maria Magdalena in den apokryphen Evangelien …
Anschließend wurden diejenigen Film-Aussagen, die sich auf das Philippusevangelium und das Evangelium der Maria berufen, kritisch an den Originaltexten kontrolliert. Auf diese Weise machten sich die Schülerinnen und Schüler mit den für sie unbekannten apokryphen Evangelien vertraut, klärten die näheren Umstände ihrer Entstehung und arbeiteten heraus, wie sich jeweils Maria Magdalena charakterisiert zeigt. Es zeigte sich, dass sie in den gnostischen Schriften, die teilweise bis ins zweite Jahrhundert n.Chr. zurückreichen, noch durchwegs positiv dargestellt wird. So wird sie u.a. als Lieblingsjüngerin mit spiritueller Reife bezeichnet, die von Jesus mit einer Geheimoffenbarung gewürdigt und (durch einen Kuss) in seine Nähe gestellt wird. Zugleich steht sie in einer gewissen Konkurrenz zu Petrus.
… und im Neuen Testament
In einem weiteren Schritt verglichen die Schülerinnen und Schüler diese Ergebnisse mit dem Bild, das die so genannten kanonischen Evangelien – also das Markus-, Matthäus-, Lukas- und Johannesevangelium – zeichnen. In diesen Schriften, die älter als die apokryphen Evangelien sind, wird Maria Magdalena u.a. von "sieben Dämonen" befreit (Lk 8,2) und gehört zu den engsten Anhängern Jesu (Mk 15,40). Auffällig ist dabei ihr Name "Maria, genannt Magdalenerin" (Lk 8,2), eine damals für eine jüdische Frau ungewöhnliche Identifizierung. Denn normalerweise wurden Frauen über ihre Väter, Ehemänner oder Brüder identifiziert; Maria hingegen wird nach ihrem Herkunftsort, dem Städtchen Magdala am See Genesaret, benannt. Dies lässt darauf schließen, dass sie unverheiratet war und ihr dieser Name erst nach dem Weggang aus ihrer Heimatstadt gegeben wurde.
Besonderes Gewicht erlangt Maria Magdalena in der Passionsgeschichte: Sie wohnt (von ferne) der Kreuzigung Jesu bei, entdeckt das leere Grab (Mk 15,40; 16,1) und ist (nach Joh 20,1-18) die erste Osterzeugin. Mehr erfahren wir aus dem Neuen Testament über Maria Magdalenas Leben nicht, v.a. nicht über eine "erotische Beziehung" zwischen ihr und Jesus von Nazaret. Am Ende der Studientage wurden die Ergebnisse schließlich zusammengetragen.
Ein-Blick in Universität und Wissenschaft
An den Studientagen konnten die Schülerinnen und Schüler in die Universität Würzburg hineinschnuppern und universitäres Arbeiten erfahren; sie lernten Bibliothek, Hörsaal und beim Mittagessen auch die Mensa kennen. Die Gymnasiasten erarbeiteten sich selbstständig und mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden fundierte Informationen über die Figur der Maria Magdalena und das Bild Maria Magdalenas im frühen Christentum.
"Die Schüler entdecken dabei eine andere, für sie oftmals überraschende Seite des frühen Christentums der ersten beiden Jahrhunderte", so Heinz Blatz von der Universität Würzburg. Mit dem Evangelium der Maria (Magdalena) und dem Philippusevangelium kamen an den Studientagen Texte zur Sprache, die nicht nur ein Fenster zu einem weitgehend fremden Überlieferungsstrang des frühen Christentums öffnen, sondern auch Bücher oder Filme (z.B. eines Dan Browns) besser verstehen lassen. Außerdem erhielten die Schülerinnen und Schüler bei Führungen im Museum am Dom einen weiterführenden Einblick in die Wirkungsgeschichte in der Kunst, hier v.a. am Beispiel mehrerer Abendmahlsdarstellungen. "Die Gymnasiasten kamen als Schüler und gingen als junge Forscher", zog Professor Bernhard Heininger ein positives Fazit der Studientage.
Zum Projekt
Das Würzburger Projekt "Exegesewerkstatt. Neutestamentliche Apokryphen", das für drei Jahre von der Stuttgarter Robert-Bosch-Stiftung gefördert wird, will Schülern und Lehrkräften Einblicke in die aktuelle exegetische Forschung ermöglichen und den Wissenstransfer von der Universität zur Schule beschleunigen. Es stellt weithin unbekannte Texte aus der Frühzeit des Christentums in den Mittelpunkt, v.a. solche, die nicht in den neutestamentlichen Kanon aufgenommen wurden. Das Projekt, das in Kooperation zwischen der Universität Würzburg und den Würzburger Matthias-Grünewald-, Riemenschneider- und Wirsberg-Gymnasien sowie dem Ohm-Gymnasiums Erlangen durchgeführt wird, ist fächerübergreifend angelegt, denn es schlägt auch Querverbindungen zu Literaturwissenschaften, Geschichte und den Klassischen Philologien.
(Text: Heinz Blatz)