Intern
Katholisch-Theologische Fakultät

Recht auf Intimität - Theologisch-ethische Erkundungen zum Umgang mit der Sexualität behinderter Menschen

03.11.2014

Veranstaltungsbericht

Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl beim Vortrag

Die Sexualität behinderter Menschen ist immer noch ein großes Tabu-Thema – trotz der sonst so übersexualisierten Gesellschaft. Dennoch müssen (nicht nur) LehrerInnen an Förderschulen praktisch zu diesem Thema Stellung beziehen: wenn ihre Schüler danach fragen oder praktisch handeln oder wenn Eltern der Schüler wissen wollen, was die Kirche zu diesen Fragen sagt.

Diesem Problemfeld stellte sich Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl aus Berlin in einem Workshop am 17.10.2014, den Hermann Nickel vom Mentorat für künftige ReligionslehrerInnen und Michael Clement vom Lehrstuhl für Moraltheologie auf die Anregung von Studierenden hin veranstalteten. Der als Experte für diesen sensiblen Bereich bekannte theologische Ethiker zeigte zunächst die Schwierigkeiten der Thematik auf: Behinderung werde gesellschaftlich häufig defizitorientiert als Minusvariante normalen Lebens betrachtet, viele Menschen würden dadurch noch zusätzliche „Kopfbarrieren“ errichten und überhaupt werde Sexualität häufig auf die genitale Dimension reduziert. Lob-Hüdepohl stellte gegen diese Engführung das Bild einer Sexualität, die eine Sprache in vielen Dialekten sei. Damit werde es möglich, unbeholfen scheinende kleine Zärtlichkeiten behinderter Jugendlicher als eben für sie passenden Ausdruck ihrer Sexualität zu verstehen. Was die kirchliche Wertung der Sexualität Behinderter betrifft, forderte schon Johannes Paul II. 2004 Aufmerksamkeit für die gleichen Bedürfnisse behinderter Menschen, nämlich danach „Liebe zu empfangen und zu geben, nach Zärtlichkeit, Nähe und Intimität.“ Aufgabe der Umwelt sei es, „fruchtbringende und befriedigende zwischenmenschliche Beziehungen“ zu gestalten – und nicht etwa die Verinselung behinderter Kinder und Jugendlicher zu verstärken, die aufgrund sozialer Isolation und ganztägiger Beschäftigung in Schulen häufig nicht einmal an alltäglichen sozialen Interaktionen teilnehmen, geschweige denn reifen könnten.

Ein Recht auf Sexualität sieht Lob-Hüdepohl darin, dass Intimität geschützt und – gerade auch in Heimen – ein Raum für die eigene Intimität geschaffen werden müsse, der für die sexuelle Reifung jedes Menschen unabdingbar sei. Eine aktive Sexualassistenz, bei der eine dritte Person in die sexuelle Handlung selbst involviert sei, lehnt der Experte jedoch ab, alleine schon wegen der hohen Missbrauchsgefahr. Wichtig hierbei sei das Intimitätsparadox: Es mache Intimität gerade aus, dass ein geschützter und vertrauter Raum ohne Fremde bestehe, in dem Sexualität gelebt sein kann. Genau dieser Raum aber werde zerstört, wenn ein Dritter assistierend-behilflich zugegen ist. Gleichwohl gebe es viele Berichte von Menschen mit Behinderung, die ihre Erfahrungen mit indirekt aktiver Sexualassistenz sehr glücklich und intensiv schildern. Grund für die besondere Behutsamkeit, zu der Lob-Hüdepohl in seinem lebendigen Vortrag mahnte, liege im Menschen und seiner Sexualität selbst: „Die Sprache des Leibes ist extrem versehrbar."

Text: Michael Clement

Zurück