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Professur für Christliche Sozialethik

Schwerpunkte und Projekte

In diesem Projekt geht es in Forschung und Praxis um die Gründung und Begleitung von Ethikkomitees in Justizvollzugsanstalten.

Ausgangspunkt für dieses Projekt war die Beobachtung, dass in der medialen und politischen Öffentlichkeit ethische Fragestellungen in einer Weise diskutiert werden, in der die konkreten Umstände und die Vielfalt des Justizvollzugs kaum angemessen gewürdigt werden. Aber auch in den Justizvollzugsanstalten erhalten ethische Dimensionen des Justizvollzugs oft keinen gebührenden Raum, weil sie im Alltag zwischen Verwaltung und juristischen Vorgaben leicht übersehen werden. Außerdem können Normen zueinander in Widerspruch geraten. Wie auch in anderen Bereichen der moralischen Praxis, die die ethische Reflexion auf den Plan ruft, ist es zuweilen nicht klar, wie eine Hierarchisierung verschiedener Normen und Werte im konkreten Fall vorzunehmen ist.

Aus einer Initiative der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland heraus wurde im Jahr 2008 das erste Mal über Ethikkomitees im Justizvollzug nachgedacht. Es entstand eine Zusammenarbeit mit der damaligen Professur für Theologische Ethik der Universität Frankfurt (Prof. Dr. Hille Haker und Dr. Michelle Becka). Seit dieser Zeit setzt sich die Arbeitsgruppe Ethik in regelmäßigen Arbeitstreffen mit ethischen Fragestellungen im Justizvollzug auseinander, führt diesbezüglich eigene Workshops durch und begleitet interessierte Justizvollzugsanstalten auf dem Weg zur Implementierung eines Ethikkomitees und bei ihrer Evaluation und Fortentwicklung. Hinzu kommen digitale Foren für ethische Fragestellungen, die einzelne ethische Themen in einen Dialog mit Praktiker:innen aus dem Justizvollzug bringen und so die Vernetzung und den Austausch ermöglichen sollen. Immer wieder werden auch Fortbildungen und fachliche Vorträge zu diesem Thema aus den Reihen der AG Ethik bestritten.

Aus der Kooperation entstand außerdem ein Forschungsprojekt zum Thema Ethik im Justizvollzug. Michelle Becka verfolgte innerhalb einer von der DFG geförderten Eigenen Stelle das Thema "Moralisches Subjekt unter Bedingungen der Asymmetrie. Ethische Fragestellungen im Justizvollzug“, das in die Habilitationsschrift "Strafe und Resozialisierung. Hinführung zu einer Ethik des Justizvollzugs" mündete und weitere Veröffentlichungen hervorbrachte (vgl. Bibliographie zum Thema).

Inzwischen gibt es an mehreren Justizvollzugsanstalten in Deutschland Ethikkomitees und das Interesse des Justizvollzugs an diesem Thema nimmt auf verschiedenen Ebenen bundesweit zu.

Durch die Anbindung des Projekts an die Professur für Christliche Sozialethik wird das Projekt weiterentwickelt. Das Ziel ist langfristig eine Etablierung von Ethikkomitees in Justizvollzugsanstalten - bei gleichzeitiger kritischer Überprüfung ihrer Wirksamkeit.

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur übernimmt Katharina Leniger die Koordination des Projekts und die Gestaltung der Zusammenarbeit mit der Katholischen Gefängnisseelsorge in Deutschland. Gleichzeitig forscht sie im Rahmen eines Dissertationsprojekts seit 2018 zu Fragen der Restorative Justice innerhalb des Justizvollzugs.

Bibliographie

  • Becka, Michelle, Diakonisches Handeln in JVA und Straffälligenhilfe, in: Lob-Hüdepohl, Andreas/Schäfer, Gerhard K. (Hg.), Ökumenisches Kompendium Caritas und Diakonie, Göttingen 2022, 626-634.
  • Becka, Michelle/Ulrich, Johannes, Ethik im Vollzug. Handreichung für die ethische Fallreflexion, Münster 2020.
  • Becka, Michelle, Von der Würde auf viereinhalb Quadratmetern, in: BAG-S, Informationsdienst Straffälligenhilfe, Menschenrechte in Strafvollzug und Straffälligenhilfe 3/2020, 18–21.
  • Becka, Michelle/Leniger, Katharina, Spiralen der Verletzung. Im Knast jenseits von Tätern und Opfern, in: Keul, H. (Hg.), Theologische Vulnerabilitätsforschung – gesellschaftsrelevant und interdisziplinär, Stuttgart 2020, 159–176.
  • Becka, Michelle, Gott im Knast – theologische Perspektiven. Machtvollen Spiralen der Verwundbarkeit befreiend begegnen, in: Keul, H. / Müller, Th. (Hg.), Verwundbar. Theologische und humanwissenschaftliche Perspektiven zur menschlichen Verwundbarkeit, Würzburg 2020, 177–187.
  • Becka, Michelle, Ethikkomitees als ethische Reflexionsräume in Justizvollzugsanstalten, in: EthikJournal 1/2017, https://www.ethikjournal.de/fileadmin/user_upload/ethikjournal/Texte_Ausgabe_1_06-2017/Becka_Ethikkomitees__EthikJournal_4_2017_1.pdf.
  • Becka, Michelle, Ethik im Justizvollzug. Ethikkomitees zwischen Organisationsethik und Professionsethik, in: Neue Caritas 14/2017.
  • Becka, Michelle, Ethik im Justizvollzug – Professionalität und Organisation, in: Forum Strafvollzug 3/2017, 154–157.
  • Becka, Michelle, Der Mensch im Mittelpunkt. Eine gemeinsame ethische Basis, in: Andersort 1/2017, 14–19, https://gefaengnisseelsorge.net/wp-content/uploads/2018/08/2017-I.pdf.
  • Becka, Michelle, Comités de ética en el régimen penitencciario, in: Eijk, Ryan van (Hrsg.): For Justice and Mercy. International Reflections on Prison Chaplaincy, Tilburg/Amsterdam 2016, 121–130.
  • Becka, Michelle, Strafe und Resozialisierung. Hinführung zu einer Ethik des Justizvollzug, Münster 2016 (Habilitationsschrift).
  • Becka, Michelle (Hrsg), Ethik im Justizvollzug. Aufgaben, Chancen, Grenzen, Stuttgart 2015.
  • Becka, Michelle, Der Inhaftierte als Subjekt angesichts der Objektivierungen im Justizvollzug, in: Becka, Michelle (Hrsg): Ethik im Justizvollzug. Aufgaben, Chancen, Grenzen, Stuttgart 2015, 47–59.
  • Becka, Michelle, Ethikkomitees im Justizvollzug - Ein Projekt beginnt zu wachsen, in: Bildungsinstitut des niedersächsischen Justizvollzugs (Hrsg): Justiznewsletter 23, 2/2015, 2–5.
  • Becka, Michelle, Ethikkomitees im Gefängnis? Erste Einschätzungen, in: Forum Strafvollzug, 1/2014, 28–30.
  • Becka, Michelle, Be Careful. Achtung und Achtsamkeit im Umgang mit Straftäterinnen, in: Halbhuber-Gassner, Lydia/Pravda, Gisela (Hrsg.): Frauengesundheit im Gefängnis, Freiburg i.B. 2013, 15–29.
  • Becka, Michelle, Gefängnis. Die Auslagerung von Unsicherheit und die Folgen für soziale Gerechtigkeit, in: Ethik und Gesellschaft 1/2013, www.ethik-und-gesellschaft.de.
  • Becka, Michelle, Ethik im Justizvollzug - Wieso eigentlich?, in: Stimmen der Zeit, 8/2012, 566–568.
  • Dzialdowski, Lothar/Becka, Michelle, Das Ethikkomitee der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede. Ein Pilotprojekt, in: Becka, Michelle (Hrsg.): Ethik im Justizvollzug. Aufgaben, Chancen, Grenzen, Stuttgart 2015, 203–222.
  • Haker, Hille, Sicherheit und Strafsystem. Ethische Reflexionen am Beispiel der jüngeren Geschichte in den USA, in: Becka, Michelle (Hrsg.): Ethik im Justizvollzug, Stuttgart 2015, 47–86.
  • Haker, Hille, Die Würde des Menschen ist antastbar, in: Halbhuber-Gassner, Lydia/Nickolei, Werner/Wichmann, Cornelius (Hrsg.): Achten statt ächten in Straffälligenhilfe und Kriminalpolitik, Freiburg 2010, 29–44.

Fragen von Begründung, Verständnis, Verteidigung und Kritik der Menschenrechte sind Gegenstand zahlreicher Publikationen und Vorträge. Es geht einerseits um das Gesamt der Menschenrechte und die Bedeutung von diesen als normative Grundlage christlicher Sozialethik. Es geht andererseits um Einzelrechte. In inter- und transdisziplinärer Absicht werden dazu eigene Forschungen mit anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern verknüpft, etwa hinsichtlich des Rechts auf einen angemessenen Umgang mit den Toten oder des Menschenrechts auf Gesundheit .

Die Reflexion normativer Grundlagen der Sozialethik ist ein Kern der Forschung, neben Fragen von Gerechtigkeit und Verantwortung steht das Verhältnis von Freiheit und Solidarität im Zentrum. Die (mehr und mehr unter dem Vorzeichen des Anthropozäns stehende) ethische Reflexion der Beziehung von Mensch und nichtmenschlicher Welt hat ebenfalls hier ihren Ort und wird nicht als Bereichsethik verstanden.

Christliche Sozialethik reflektiert die institutionellen Bedingungen gelingenden Lebens. Ich beschäftige mich einerseits sehr grundsätzlich mit diesen Institutionen und der Frage nach gesellschaftlichem Zusammenhalt, sowie nach der Gefährdung beider durch starke Polarisierungen und rechtspopulistische und rechtsextreme Tendenzen. Migrationsethische Fragen sind Gegenstand zahlreicher Publikationen seit 2010.

Interkulturalität ist seit der Dissertation einer meiner Forschungsschwerpunkte. Weil Interkulturalität nicht nur Gegenstand von Forschung sondern auch eine Art Forschung zu betreiben ist,  bestehen langjährige Kooperationen mit dem Nord-Süd-Dialogprogramm, das seit einigen jahren institutionalisiert ist unter EIFI, escual internacional de filosofia intercultural. Im Board of Editors der internationalen Zeitschrift Concilium wird zudem Theologie interkulturell  und mit postkolonialem Schwerpunkt praktiziert, eigene Forschungsinteressen und Ergebnisse werden hier ins Gespräch gebracht mit Kolleginnen und Kollegen aus fünf Kontinenten.