4000 Jahre Textgeschichte: Studierende der Universitäten Würzburg und Rostock auf den Spuren der jüdischen Gemeinde in Elephantine
05/29/2024Seminar und Exkursion nach Berlin
Die kleine Nilinsel Elephantine, die Anfang des 20. Jahrhunderts durch Papyrusfunde zu einer beliebten Ausgrabungsstätte wurde, ist in den letzten Jahren erneut in den Fokus der Forschung gerückt. Um die Bedeutung des papyrologischen Erbes der jüdischen Gemeinde in Elephantine für das Studium des Alten Testaments zu erschließen, veranstalteten die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Würzburg und die Theologische Fakultät der Universität Rostock ein gemeinsames Online-Seminar. Auf dem Lehrplan standen ein Überblick über die Geschichte Elephantines, das Fundmaterial der Ausgrabungskampagnen sowie das literarische Erbe – jeweils mit besonderem Augenmerk auf die jüdische Kolonie. Drei bedeutende Texte wurden im Seminar vertieft behandelt: Der sog. "Pessachbrief" (Berliner Papyri P. 13464), der "Brief zum Wiederaufbau des Tempels" (Berliner Papyri P. 13445) und das Ahiqar-Material, welches spannende Berührungspunkte mit der biblischen Weisheitsliteratur eröffnet (Berliner Papyri P. 13446A-H, K-L).
Höhepunkt des Seminars bildete der gemeinsame Besuch der Sonderausstellung "Elephantine. Insel der Jahrtausende" am 26.05.2024 in der James-Simon-Galerie in Berlin. Bis Ende Oktober können dort die ausgewählten Fundstücke, welche im Rahmen des ERC-Projekts „Elephantine“ erfasst wurden, besichtigt und mit verschiedenen Sinneswahrnehmungen erlebt werden. Dank jahrelanger Forschungsarbeit schaffte es dieses Projekt, das über die ganze Welt verstreute und zum Großteil noch nicht erfasste Textmaterial aus Elephantine erstmalig zu sammeln, zu rekonstruieren und zu digitalisieren. Frau Prof. Dr. Verena Lepper, Leiterin des ERC-Projekts, führte die Gruppe durch die Ausstellung, welche auf eindrucksvolle Weise 4000 Jahre durchgehende Textgeschichte bezeugt.
Die Einmaligkeit der Funde auf Elephantine besteht primär in der nachweisbaren Korrelation zwischen Textmaterial und archäologischen Ausgrabungen sowie der jahrtausendlangen durchgehenden Besiedlungs- und Kulturgeschichte. Aus alttestamentlicher Perspektive ist insbesondere die Existenz einer jüdisch-judäischen Gemeinde von Bedeutung. Diese verfügte über einen JHW-Tempel, welcher bereits vor der persischen Eroberung 525 v. Chr. bestanden haben soll und somit ein einzigartiges Zeugnis von frühjüdischem Kult und lokaler Selbstverwaltung außerhalb Jerusalems darstellt. So war es ein besonders bewegender Moment, die im Seminar behandelten Texte im Original betrachten zu können. Neben Papyri, die auf die multikulturell geprägte Frömmigkeit der Menschen zu jener Zeit hinweisen, waren auch Rechenübungen, Heiratsverträge und medizinische Rezepte ausgestellt – wer hätte gedacht, dass schon im alten Ägypten gekochtes Bier als Heilmittel gegen Husten und Heiserkeit galt? In einem weiteren Ausstellungssaal gab es die Möglichkeit, Methoden des papyrologischen Arbeitens zu entdecken. Diese haben sich im Rahmen des Elephantine-Projekts bahnbrechend weiterentwickelt, da poröse Papyri erstmalig virtuell geöffnet werden konnten, ohne die fragilen Textdokumente zu beschädigen. Die abschließende „Papyrus-Challenge“ und ein gemeinsames Mittagessen boten Gelegenheiten des gemeinsamen Austauschs über die Lehrveranstaltung hinaus.
Würzburger:innen und Rostocker:innen, allen voran die beiden Lehrstuhlinhaberinnen für Altes Testament, Prof. Dr. Barbara Schmitz und Prof. Dr. Judith Gärtner, freuen sich über diese gelungene Kollaboration!