Intern
Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft

Gottesdienst und Ethik

Für ein gelingendes Zusammenleben in den immer stärker multikulturell geprägten Gesellschaften Westeuropas ist die Frage nach den Quellen moralischen Handelns, denen sich die verschiedenen sozialen Gruppen verpflichtet wissen, von hoher Relevanz. Zugleich zeigen neuere Forschungen, dass für die Integration in die Gesellschaft und die individuelle Lebensbewältigung den religiösen Ritualen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt.

Die Diskussion, die in vielen Ländern Europas um die Präsenz islamischer Moscheen und Gemeindehäuser im öffentlichen Raum geführt wird (vgl. den „Minarettstreit“ in der Schweiz), macht deutlich: bei den jeweiligen Bevölkerungsmehrheiten bestehen große Unsicherheiten in Bezug auf den Islam mit seinen rituellen Praktiken und deren ethisch-sozialen Implikationen.

Diese Situation lenkt den Blick auf das Verhältnis von Gottesdienst und Ethik auch im christlichen Bereich. Trotz des Bedeutungsverlustes, mit dem die christlichen Kirchen angesichts von Säkularisierung und Modernisierung in den westlichen Gesellschaften zu kämpfen haben, unterbreiten sie in der allgemeinen gesellschaftlichen Wertedebatte nach wie vor ein bedeutsames Diskussionsangebot. Von der Theologie ist neu in den Blick zu nehmen, dass christliche Ethik sich in einem engen Wechselverhältnis mit dem gottesdienstlichen Leben der Kirchen befindet.

Die Beziehung von Liturgie und Ethik wird im römisch-katholischen Ritus der Priesterweihe prägnant vor Augen gestellt. Der neugeweihte Priester empfängt Kelch und Patene mit den Worten: „Bedenke, was du tust, ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.“ Diese Wirklichkeit ist auf der Grundlage der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf alle Christen zu beziehen (vgl. Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ [= SC], Nr. 5, 10): Der vollen, tätigen und bewussten Teilnahme an der Feier der Liturgie (z. B. SC 14) hat daher auch ein aktives, tätiges, bewusstes Leben als Christ in der Welt zu entsprechen (vgl. SC 9, 10). Wenn zum Beispiel Christen im Gottesdienst bei den Fürbitten für Menschen in Not beten, dann sollte diesem Beten auch der konkrete Dienst am Nächsten folgen – ob in der Nachbarschaftshilfe oder durch politisch-soziales Engagement.

Die Diskussionen um die Freiburger Rede von Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch im September 2011 um das Stichwort „Ent-Weltlichung“ machen allerdings die Schwierigkeit dieses Zusammenhangs deutlich: Sollen sich Christen in ihre Gotteshäuser zurückziehen oder geht es auch darum, aus christlicher Überzeugung heraus in die Welt hinein zu wirken?

Ein prominentes Beispiel für christliches Engagement ist Mutter Theresa von Kalkutta. Sie schöpfte aus dem täglich gefeierten Glauben die Motivation für ihre Arbeit in den Slums der Stadt. Die Katholische Kirche verehrt sie daher als Selige und stellt sie den Christen in der Liturgie damit als „role model“ vor Augen. Tatsächlich gibt es eine große Zahl von Christen, die, den Augen der Öffentlichkeit eher verborgen, ihren Glauben nicht nur hinter verschlossenen Türen leben, sondern in der Feier des Gottesdienstes eine Sendung in die Welt erkennen und dieser folgen.

Die theoretische und empirische Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von gottesdienstlicher Feier und ethischem Handeln ist in der theologischen Diskussion – zumindest im deutschen Sprachraum – bisher über erste Ansätze nicht hinausgelangt. Ausgangspunkt für das geplante Projekt ist der Blick der Liturgiewissenschaft auf die Schnittpunkte von Diakonie und Liturgie als kirchlichen Grundvollzügen. Dies soll im Dialog mit anderen Disziplinen und Wissenschaften geschehen und muss von vorneherein für interkulturelle und interreligiöse Perspektiven offen sein. Das Projekt will darum die Liturgiewissenschaft mit Vertretern anderer theologischer Disziplinen und weiterer Wissenschaften ins Gespräch bringen, um dem Wechselverhältnis von Gottesdienst bzw. religiösen Ritualen und Ethik auf den Grund zu gehen. Dialogpartner sind Moraltheologie, Christliche Sozialethik und die biblischen Wissenschaften, aber auch Judaistik, Islamwissenschaft, Psychologie und die Sozialwissenschaften. Das geplante Vorhaben dient jedoch nicht allein der Vertiefung der wissenschaftlichen Erforschung des Themenfeldes. Neben der unerlässlichen wissenschaftlichen Reflexion hat das Projekt auch die Verbindung von theoretischem Wissen und religiöser Praxis zum Ziel.

Das Team vom Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft begrüßt die Stipendiaten des neuen Promotionskollegs „Gottesdienst und Ethik“.

 

Mit Lisa Martin, Simone Sommer und Craig Katzenmiller haben nun drei Nachwuchswissenschaftler/-innen die Möglichkeit, im Fach Liturgiewissenschaft zu einem Thema aus dem Bereich „Gottesdienst und Ethik“ zu promovieren. Das Promotionskolleg konnte auf der Basis der großzügigen finanziellen Unterstützung einer privaten Stiftung als Drittmittelprojekt am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft errichtet werden. Die Laufzeit des Promotionskolleges ist auf drei Jahre angelegt.

 

Prof. Dr. Martin Stuflesser, der wissenschaftliche Leiter des Promotionskollegs, begrüßte am heutigen Morgen die Stipendiatinnen und den Stipendiaten am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft. „Die wissenschaftliche Erforschung der gegenseitigen Beeinflussung von religiösen Ritualen und ethischem Handeln, theologisch gesprochen: von Liturgie und Ethik, ist“, so führte Stuflesser aus, „ein relativ neues Forschungsfeld in der Liturgiewissenschaft.“

 

„Es freut uns“, so Stuflesser weiter, „dass wir aus den zahlreichen Bewerbungen auf die Stipendien drei sehr gute Stipendiaten auswählen konnten. Dass mit Craig Katzenmiller ein junger Nachwuchswissenschaftler sogar aus den USA nach Würzburg gekommen ist, um hier am Lehrstuhl im Rahmen des Promotionskolleges zu forschen, unterstreicht die Bedeutung des Forschungsthemas. Mit Prof. Dr. Stephan Ernst, Ordinarius für Moraltheologie an der kath.-theol. Fakultät der Universität Würzburg, konnte zudem ein wichtiger Partner bei der Betreuung der Promovenden gewonnen werden.“

 

"OH GOD, COME TO MY ASSISTANCE"

Beginnings often create nervous anticipation, but they also create new opportunities for dialogue and growth. Because of these latter opportunities, we are especially excited to announce the official beginning of our “Liturgy and Ethics” research project.

The Liturgy of the Hours begins each day with the cry for God to come to our assistance, a cry to enter into dialogue with God, the church, and our fellow humans. Likewise, our research team—Prof. Dr. Stuflesser, Lisa Martin, Simone Sommer, and myself—initiated our work together by meeting around a table and allowing space for new dialogue and new ideas to begin.

We discussed immediate needs, such as updating the information here on our teams’ website, as well as long term goals, such as organizing lectures and parish programs that promote concrete ways of forming communities ethically through participation in the liturgy.

Additionally, we discussed the possibility of our team joining in the conversations at next year’s Societas Liturgica congress. Prof. Dr. Stuflesser proposed that, in addition to each of us formally presenting a paper at the congress, we might present this research project as a team during one of the congress’ “short communications.” Such would allow us to make our work known to a wider audience as well as to locate contacts for any future lectures we organize.

As alluded to above, our research team is made up of three PhD students, and our initial Promotionsthemen are available here.

We will meet again on 12 November 2012 in order to hear new ideas for promoting our project both online and in the real world. Likewise, we will all update each other on the progress of our respective research.

Craig D. Katzenmiller